History-Show und kolletiver Selbstversuch

together

Soziale Gefüge auf dem Prüfstand: Marcel Schwalds Produktion «Together» verhandelt unterhaltsam und eindringlich Aspekte, Regeln und Probleme menschlicher Kooperation.

Unsere Gesellschaft besteht aus einer Vielzahl an kleinen Gemeinschaften, die sich aufgrund gleicher Interessen oder aus Notgedrungenheit zusammenschliessen – Genau das macht Schwalds Stück gleich von Beginn weg klar. So musste sich am Anfang der Aufführung in der grossen Halle der Reitschule jeder Theaterbesucher für eine Gruppe entscheiden, wobei vier Schauspielerinnen (Julia Schmidt, Patricia Noçon, Olivia Csiky-Trnka, Susanne Abelein) und zwei Schauspieler (Léonard Bertholet, Daniel Hinojo) das Publikum mit unterschiedlichen Versprechen in ihre Lager zu locken versuchten. Die Vermittlung von konkreten Tipps bezüglich sozialer Kooperation oder historischen Fakten wurden da etwa versprochen, oder auch physische Aktivität oder Entertainment. Alle Gruppen fanden regen Zulauf, übrig blieben ein paar Unentschlossene – inklusive der Schreibenden – die sich nicht rechtzeitig hatten entscheiden können oder wollen. Die Schauspielerin, welche diesem Rest-Team vorstand, blieb seltsam stumm und erst als ein Mitglieder nach geraumer Zeit nachfragte, was denn nun unsere Aufgabe sei, erklärte sie: «Es braucht immer auch jemand, der zuschaut.» Nun gut, während sich alle anderen Gruppen irgendeiner Aktivität hingaben, schauten wir zu. Viel spannender, als das, was es tatsächlich zu sehen gab, waren dabei allerdings die Gedanken, die einem durch den Kopf gingen: «Warum darf ich nicht mitmachen? Soll diese Verdammung zur Untätigkeit ein Strafe für meine Unentschlossenheit sein? Die Vergeltung dafür, dass ich mir jedes Türchen offen lassen wollte? Bin ich grundsätzlich zu feige, zu zögerlich?» Das Experiment macht unmissverständlich klar: Auch in einer Gemeinschaft – hier diejenige der Zuschauer – wird ein Mensch immer wieder auf sich selber zurückgeworfen.

Als Grundlage für Schwalds Stück diente Richard Sennetts populärwissenschaftlicher Bestseller «Together – The Rituals, Pleasures und Politics of Cooperation», wobei auf der Basis von Recherchen, Diskussionen und Improvisationen eine Art Experiment zwischen kollektivem Selbstversuch und History-Show ausgearbeitet wurde. Befeuert von Sennetts Sozialoptimismus unternahmen die sechs Performer und Perfomerinnen in der Folge einen mehrsprachigen Streifzug durch diverse Epochen der Zivilisationsgeschichte und verdeutlichen anhand von Beispielen, wie, wann und in welcher Form soziale Kooperation auftreten kann. Dabei wurde offenbar, dass sich auch hinter Gräueltaten soziale Kompetenzen verbergen. Tatsächlich funktioniert hier die Kooperation besonders gut, etwa wenn es darum geht, eine Hexe zu bestimmen und zu verbrennen.

Mit viel Spielfreude sowie poetischen bis übermütigen Einfällen zeigt das Ensemble, dass eine Gemeinschaft stets auch eine Herausforderung darstellt, weil hier unterschiedlichste Charaktere und persönliche Bedürfnisse aufeinanderprallen und das in einer komplexen Welt, die aus einer Vielzahl an ethischen, religiösen oder ökonomischen Ungleichheiten besteht. In so einer Welt kann selbst das Gerippe eines Party-Zelts zum gemeinschaftsstiftenden Element werden. Aber Achtung: die grosse körperliche Nähe innerhalb des Zelt-Gerippes kann genau so unangenehm sein, wie das Gefühl des Nichtdazugehörens der Aussenstehenden. Welch verzwickte Angelegenheit!

Der Bund, 15.6.15