Räuber und Poli

Liebe Rowdys und liebe Polizei,
pollerist euer beider Alltag denn tatsächlich so problembefreit und ereignisarm, dass nur Räuber und Poli auf dem Vorplatz bleibt? Gäbe es vielleicht nicht andere, dringlichere Probleme anzugehen auf der Welt? Oder könntet ihr zumindest eure Dummheit, Autoritätsprobleme, pawlowsche Reflexe und Gewaltgeilheit sonst wo verpülfern und uns Kulturinteressierte nicht damit behelligen? Auf dem Mond hätte es sonst noch Platz.

Die ganzen Poller-Kolumne in der Bund (12. 09.18) zu den ewigen Faxen auf dem Vorplatz der Reitschule gibst hier zu lesen.

Einfach Mensch sein

Das alternative Kulturzentrum Reitschule feiert heuer sein 30-jähriges Bestehen. Eine Bestandesaufnahme bei den Jubiläums-Festivitäten zeigt: Auch oder vor allem für diejenige Generation, welche 1987 noch gar nicht auf der Welt war, sind Vorplatz und Reitschule wichtige soziale Begegnungsräume. Nicht nur wegen ihrer Niederschwelligkeit. 

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Open-Air-Jugendzentrum Vorplatz, BIld: Marco Raho

«Wir gehören hier zu den Alten», sagt der 22-jährige Nico. Tatsächlich ist die Mehrheit der geschätzten 500 Leute, welche sich an diesem Freitagabend auf dem Vorplatz der Reitschule eingefunden haben, um die 20 Jahre alt oder jünger. Sie seien regelmässig hier, erklären Nico und seine drei Kumpane aus Bremgarten. Der Vorplatz sei halt einfach der Treffpunkt schlechthin, hier kenne man sich. Sein Vater sei früher oft in der Reitschule gewesen, sagt der 22-jährige Raphael. Er selber esse gerne im Restaurant Sous Le Pont, besuche Konzerte im Rössli oder im Dachstock oder hänge auf dem Vorplatz herum. Toll sei, dass alles so ungezwungen sei. Ihm gefielen auch die solidarischen Aktionen der Reitschule, etwa, wenn Geld für Flüchtlinge gesammelt werde. «Hier ein Parkhaus zu bauen, wäre einfach scheisse», enerviert sich Nico. «Wo würden wir dann über Mittag Pingpong spielen und am Abend Skateboard fahren?»

Die ganze Reportage in Der Bund vom 30.10. gibts hier zu lesen.

Farbenfrohes Leporello

Haben Sie als Kind auch so gerne Faltbilder gemalt? Also diejenigen Bilder, auf denen jemand den Kopf übernahm, dann verdeckt weiterreichte, der nächste malte den Rumpf, reichte wieder weiter, undsoweiterundsofort. Die Reitschule hat zum 30. Geburtstag ein Leporello herausgegeben, welches nach diesem Konzept funktioniert. Bloss auf höherem ästhetischen Niveau, versteht sich. Ganz nach dem kooperativen Prinzip liess man einen Bilderbogen von einer Gestalterin zum nächsten Künstler wandern, alle ergänzten sie das Vorangehende mit einem ganz persönlichen Erlebnis aus «ihrem» Reitschuljahr. So sind dreissig ganz unterschiedliche Bilder zusammengekommen.

Die Jahre 1988/1989: Michael Kiener (links) und Dirk Bonsma (rechts)

Genau wie die Reitschule ist die gestalterische Vielfalt im Leporello gross. Es gibt Collagen, Zeichnungen, Malarbeiten, Siebdrucke, you name it, someone did it und genau wie die Reitschule selber ist einiges fantastisch, anderes nicht auf den ersten Blick verständlich.Alle Künstler*innen sind der Reitschule irgendwie verbunden, waren oder sind dort immer noch selber aktiv. Auskunft über die Urherber*innen der Bilder und deren Bezug zum Kulturzentrum gibt ein beigelegtes Büchlein. Darin enthalten ist auch eine Chronologie, welche kleine, grosse, wichtige und marginale Geschehnisse der letzten 10 Jahre in und um die Reitschule auflistet.

Im Bild zum Jahr 1993 lässt sich übrigens die Information finden, dass sich Leute in der Reitschule eingenistet hätten, welche nur von den Strukturen des Kulturbetriebes profitieren würden, ohne sich um weitergehende kollektive Ansprüche zu kümmern. So musste offenbar auch in der Reitschule immer wieder diskutiert werden, wie viel Vielfalt eine Einheit verträgt. Beim schmucken Leporello muss man das nicht. Da geht nun wirklich alles … und sowieso wenns beim Auspacken dann auch noch lecker nach frischer Druckfarbe riecht.
Für KulturStattBern