«Was dr Heilandstonner söu itz emu o settigs?»

stauffer_RossStef Stauffer öffnet in «Bis das Ross im Himmel ist» die Tür zur Welt der 1940er-Jahre und zeigt, welch einschneidende Veränderungen der technischer Fortschritt für Handwerkerfamilien bedeutete.

Er ist doch eigentlich so gar nicht dafür geeignet, in die Fussstapfen des übermächtigen Vaters zu treten, der junge Bub, dessen Werdegang von Geburt an bis zum Eintritt in die Lehre den Haupterzählstrang in «Bis das Ross im Himmel ist» von Stef Stauffer bildet.


Ein schüchterner, sensibler Feingeist ist er dieser Bub, naiv, unschuldig, pflichtbewusst, ein Träumer mit Sinn fürs Ästhetische, der die Nachmittage gerne im «Budiggli» seines Grossvaters verbringt, da ihm dieser viel näher steht, als der gestrenge, unberechenbare und knorrige Vater. Besagter Vater, ein grobschrötiger Sattelmeister, tut sich nicht nur schwer mit Gefühlen, sondern auch mit Veränderungen, steht Neuem entsprechend skeptisch gegenüber und kommentiert Unbekanntes auch gerne mal bärbeissig: «Was dr Heilandstonner söu itz emu o settigs?»
Anhand dem Schicksal des Buben und dessen Familie zeigt Stauffer in ihrem zweiten Roman, wie einschneidend die Veränderungen für eine kleine Vorstadtgemeinde im beruflichen und privaten Bereich waren, die sich aufgrund des rasanten technischen Fortschrittes ergaben. Dabei zeichnet die 49-jährige Berner Autorin ein detailreiches Sitten- und Zeitgemälde der Gesellschaft der 1940er-Jahre.

Einzug der Maschinen
In der Freizeit stehen den Kindern nur ihre Phantasie und höchstens ein paar Holzspielzeuge zur Verfügung, beim Fussballspiel ist der Junge, der als einziger Gummisohlen an den Schuhen hat, im Vorteil, die Kleidung muss sitzen und sauber sein, schliesslich soll man «etwas hermachen», der Garten dient als Aushängeschild, nichts wird vergeudet oder verschwendet, sondern alles mindestens zweimal benutzt und man hat anständig zu sein, wie einem die Mutter eintrichtert. In schlichter Sprache, die mit zahlreichen Helvetismen und Mundartausdrücken angereichert ist, schildert Stauffer diese Welt, in der sehr viel Wert auf guten Ruf und Tradition gelegt wird, in der die «Dorf-Pinte» den einzigen Telefonanschluss weit und breit besitzt, der Schwatz wichtiger ist als das Radio und Autos noch zu einer Seltenheit gehören.
Nach und nach hält allerdings der technische Fortschritt in der kleinen Vorstadtgemeinde Einzug. Vermehrt tauchen Autos auf, erste Linienflugzeuge brummen über das Dorf, ein Bauer nennt plötzlich ein Gefährt namens Traktor sein eigen, erste Kühlschränke und Waschmaschinen erleichtern die Hausarbeit und zum ersten Mal wird von einem Ding namens Fernsehapparat gesprochen. «Der Vatter chätschet» an dieser Veränderung, denn nun verstauben Fuhrwerke und Kutschen und so wird der gestrenge Sattelmeister wie viele andere Handwerker – etwa der Wagner, der Schmied oder der Seiler – zum Umsatteln gezwungen. In der Folge restauriert er Möbel und geht später mit einer teuer angeschafften Standzmaschine zur ersten maschinellen Serienherstellung über, wobei die Armee als Auftragsgeber fungiert. Derweilen beginnt auch in der Landwirtschaft die maschinelle Feldbearbeitung, alte Bauernhäuser werden abgerissen und an deren Stelle gesichtslose und graue Blöcke gebaut.

«Öppis Kreativs»
Sowohl der Bub als auch der Vater bleiben in «Bis das Ross im Himmel ist» namenlos und können entsprechend als Repräsentanten für ihre jeweilige Generation verstanden werden. Da wäre zum einen dieser distanzierte, gestrenge Vater, der sich dem rasanten Wandel der Zeit beugen muss, den die Veränderung aber arg aus dem Gleichgewicht bringt, da ihm jegliche gewohnte Grundlage entzogen wird. Und da wäre auf der anderen Seite der Bub, der den technischen Fortschritt zwar auch kritisch taxiert, mit diesem aber viel besser zu Rande kommt und aus der Familientradition ausbricht, indem er «öppis Kreativs» (Hochbauzeicher) erlernt.
Stauffer dokumentiert eindrücklich den Wandel der Zeit ohne dabei in Nostalgie zu verfallen. Auch wenn früher das Handwerk noch einen anderen Stellenwert hatte und sparsamer und sorgsamer mit Materialen umgegangen wurde – was auch auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass in den 40er-Jahren «hinter dem blauen Juraband» der zweite Weltkrieg tobte – so zeigt «Bis das Ross im Himmel ist» doch auch die Enge und Strenge, welche Moral- und Traditionsvorstellungen der damaligen Zeit mit sich brachten.

Stef Stauffer «Bis das Ross im Himmel ist». Lokwort Buchverlag.