Parzival im Oberland

Eine Geschichte für alle, für wîp und man, hatte er mit seinem «Parzival» im Sinn, der Minnesänger und lyrische Dichter Wolfram von Eschenbach. Und wie er im Prolog seines 25’000 Verse umfassenden mittelhochdeutschen Versromans festhielt, solle in seinem Epos die richtig grossen Fragen abgehandelt werden: was tump und was wîse ist, was guot und was valsch. Entstanden ist von Eschenbachs «Parzival» zu Beginn des 13. Jahrhunderts, wobei der Stoff seitdem vielfach aufgegriffen, adaptiert und umgesetzt wurde. Sie ist ja aber auch zu verlocken, die Geschichte rund um den tumben Köhnigssohn Parzival, der von seiner Mutter Herzeloyde fernab jeglicher Zivilisation im Wald grossgezogen wird. Als Parzival zufälligerweise auf zwei Ritter trifft, wächst in ihm der Wunsch, ebenfalls dieser Berufsgattung anzugehören und an König Arthus’ Tafelrunde aufgenommen zu werden. Mama Herzeloyde will aber keinesfalls, dass ihr Zögling sich in die grosse weite Welt hinausbegibt und sich in Abenteuer verstrickt, setzt ihm deswegen eine Narrenkappe auf und gibt ihm allerlei unnützen Rat mit auf den Weg in der Hoffnung, der Bub werde so bald einmal zu ihr zurückkehren. Bei der darauffolgenden Reise bis zur sagenumwobenen Gralsburg durchlebt Parzival eine Läuterung vom selbstbezogenen, empathielosen Haudrauf zu einer mitfühlenden Erlösergestalt.

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Auch der gebürtige Thuner Schriftsteller Lukas Bärfuss hat sich dem Parzival-Stoff angenommen und daraus ein Theaterstück geschmiedet, welches 2010 am Schauspielhaus Hannover uraufgeführt wurde. Eine berndeutsche Version (Mundartbearbeitung Melanie Arnold) gibt es seit Mittwoch in Bärfuss’ alter Heimat zu sehen, genauer: im Kultur Garten Schadau.

Inmitten traumhaft schöner Kulisse – der Verein Ärdele betreibt in der ehemaligen historischen Schaugärtnerei ein Urban Gardening Zwischennutzungsprojekt – zeigt der Theaterverein Schlossspiele Thun unter der Regie von Luzius Engel die Geschichte rund um Parzivals Identitätsfindung. Mit den hölzernen, irrgartenhaften Palisaden hat Bühnenbildner Andreas Stettler ein durchaus stimmiges Setting geschaffen, für die Irrungen und Wirrungen, denen der Naivling auf seiner Odysee zu trotzen hat.

Er hat keine Ahnung von nichts, dieser Parzival (Boris Bürki), muss sich jeden Begriff erklären lassen und nimmt dabei alle Ratschläge wortwörtlich, was ihn noch und noch in die Bredouille bringt. Fremde Ritter werden ohne zu zögern abgemurkst und den Damen stiehlt er, ohne sich den Konsequenzen bewusst zu sein, die Ehre. In der Aufführung der Schlossspiele wird er als äusserst kruder Geselle gezeichnet, dieser Parzival, wobei auf Slapstick-Elemente, Grobheiten und starke Physis gesetzt wird. Das ist phasenweise ganz lustig, ein Aspekt, welcher dem Stoff Poetik und Tiefe verleiht, kommt dabei aber zu kurz: In seiner Naivität hinterfragt Parzival ja viele Gemeinplätze und Widersprüchlichkeiten in unserem Gebaren, unserer Gesellschaft und in unserer Sprache. Das geht im ganzen Kämpfen, Dumm-Lustigsein und in markigen Sprüchen oftmals unter.

Er gehe jetzt nach Hause den Text lesen, verkündete ein Zuschauer am Ende der Premiere des Freilufttheaters am Mittwoch. Hat man überhaupt keine Kenntnis von der Parzival-Saga, dann ist das Gezeigte wahrscheinlich tatsächlich schwer verständlich, zumal das Personal umfangreich ist. Dass die grundsätzlichen Fragen nach Regel- und Sinnhaftigkeit des Lebens abgehandelt werden und welche diese sind, das dürfte sich einem aber auch dann erschliessen, wenn man nicht weiss, wer Jeschûte, Sigûne, Gurnemanz, Condwîr âmûrs, Cunnewâre de Lâlant, Cundrî surziere und Orgeluse sind. Und dass es ein Mittelmass zwischen Gefühl und Verstand und ein empathisches Gespür zu entwickeln gilt, wohl auch. Und eines weiss man am Ende ganz gewiss: Im Zweifelsfall lieber eine Frage zu viel stellen.

«Parzival» vom Theaterverein Schlosspiele Thun wird noch bis am 10. September in der Schadaugärtnerei Thun gezeigt.