Wer ist hier das Tier?!

Die Unmenge an Tierbildern in Zeitungen, Fernsehsendungen, auf Internet-Kanälen und nicht zuletzt die absurd hohe Anzahl von über 2 Mio. Katzenvideos, welche tagtäglich in den Büros dieser Welt angeschaut werden, zeigen: Der Mensch ist geradezu versessen auf Tiere. Gleichzeitig sind diese im Zeitalter von Veganismus, gentechnischen Experimenten und Artensterben aber auch Gegenstand gesellschaftlicher Kontroversen und deswegen immer wieder auch Objekt und Inhalt künstlerischer Arbeiten. Das Fotomuseum Winterthur hat sich diesem Phänomen angenommen und zeigt in der Ausstellung «Beastly/Tierisch» Fotografien, Videos und Objekte, welche sich mit unserer Wahrnehmung von Tieren auseinandersetzen.

Mehr zu «Beastly/Tierisch» und Nicolas Deveaux hier:

Wie Duncan Forbes, Direktor des Winterthurer Fotomuseums, in seinem Aufsatz «Wenn ein Löwe fotografieren könnte» schlüssig aufzeigt, hat die Fotografiegeschichte «das Tier stets mit einer Peitsche in der Hand auf seinen Platz verwiesen». Das heisst nichts anderes, als dass Zuschreibungen und Vorannahmen gegenüber dem Animalischen lange Zeit die Art und Weise dominiert haben, wie ein Tier abgelichtet werden soll. Die menschliche Überheblichkeit ist dabei grenzenlos. Wie sonst kann behaupten werden, ein Tier sei «weltarm» wie es etwa der deutsche Philosoph Martin Heidegger tat, oder sprachlos und unreflektiert? Wer ist aufgrund welcher Qualifikationen zu solchen Aussagen berechtigt? Doch wohl höchstens Dr. Dolittle.

Nebst «klassischen» Fotografien von Tieren werden in «Beastly/Tierisch» auch Werke von Künstlern gezeigt, welche sich auf die Suche nach neuen, nicht humanzentrierten Perspektiven begeben. Dafür wird zum Beispiel einem Gürteltier eine Kamera auf den Rücken geschnallt, ein Lamm schaut den Betrachter von einem Porträtbild frontal herausfordern an, Schnecken werden in Nahaufnahmen bei der Paarung gezeigt, menschengemachte Tierindustrie wird zur erschreckend ästhetischen Komposition und Nicolas Deveaux lässt in «5,80m» Giraffen Sport treiben:

An Deveaux’ Film lässt sich die Problematik verdeutlichen, welche sich aus einer ästhetischen Auseinandersetzung mit der Darstellung von Tieren ergeben kann. Eine perfekte, aalglatte Welt, wie wir sie aus futuristischen Blockbustern kennen und die normalerweise Menschen vorbehalten ist, wird mit Giraffen bevölkert. Die Betrachtung dieser Welt wird bei vielen wahrscheinlich einfach einen Jöö-Effekt auslösen; Sie sind ja auch hübsch anzuschauen, die Langbeinigen, wie sie ihre Saltos schlagen. Dass Deveaux mit seinem Film aber auch die anthropozentrische Logik hinterfragt, welche der perfekten, digitalen Welt zu Grunde liegt, dürfte den meisten wohl entgehen. Allenfalls empfinden ein paar Betrachter ein gewisses Unbehagen ob der Diskrepanz zwischen natürlichem Lebensraum von Giraffen und der hier gezeigten klinisch-sauberen Hallenbad-Chlorwelt. Aber dass eine weiterführende, vertiefte Reflexion stattfindet, muss bezweifelt werden, zu allgegenwärtig sind im Zeitalter von Nemo und Balu Tiere, die sich wie Menschen benehmen.

Es ist ein interessanter Versuch, eine Perspektive zu kreieren, welche nicht den Menschen als Ausgangspunkt nimmt, allerdings auch ein Versuch, der scheitern muss, weil wir schlichtweg nicht wissen können, was sich in den Köpfen von Meerschweinchen, Hunden, Löwen, Eulen und anderem Getier abspielt und wie diese uns wahrnehmen. Der Versuch muss Phantasie bleiben – menschliche Phantasie. Trotzdem ist «Beastly/Tierisch» eine empfehlenswerte Ausstellung, sagt sie doch ungemein viel über Psyche und Beschaffenheit des Menschen aus. Das wird vor allem in dem Expositionsraum klar, in welchem sich unzählige Fotos und Fotomontagen aus dem Internet versammelt finden. Die grassierende Infantilisierung und Vermenschlichung von Animalischem ist durchaus erschreckend und lässt die Frage aufkommen, wer hier denn eigentlich genau das «Tier» ist.

«Beastly/Tierisch» wird noch bis am 4.10.15 im Fotomuseum Winterthur gezeigt. Kaufen Sie den Ausstellungskatalog, denn darin finden sich spannende Aufsätze von Wissenschaftlern und Philosophen zum Ausstellungsthema. Sehr zu empfehlen: Slavoj Žižek «Das Tier existiert nicht».