Die ganze Welt auf kleinem Raum

Ein Seismograph ist ein Gerät, mit welchem Bodenerschütterungen registriert werden können. Welches aber sind diejenigen Faktoren, die nicht Gestein ins Wanken bringen, sondern Soziokulturen? Und wäre Musik allenfalls als Seismograph einsetzbar, mit welchem die dringlichsten Anliegen von Menschen unterschiedlichster Herkunft eruiert werden könnten? Diese Frage haben sich Theresa Beyer, Thomas Burkhalter und Hannes Liechti vom Berner Netzwerk und Onlinemagazin Norient gestellt und während 1.5 Jahren klangliche und visuelle Materialen aus aller Welt zusammengetragen. Eine Auswahl davon gibt es nun in der Ausstellung Seismographic Sounds zu sehen und zu hören, welche morgen Freitag im Forum Schloss Platz in Aarau eröffnet wird.

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Hörrohre bieten Podcasts, die Ufo-Bank Mixtapes und Audiocollagen. Einstöpseln, Kopfkino an.


Seismographic Sounds ist eine multiperspektivische und multilokale Ausstellung, wobei die Inhalte von 250 MusikerInnen, FotografInnen, AutorInnen und RadiomacherInnen aus der ganzen Welt stammen. Vertreten sind Beiträge aus Kapstadt, Helsinki, Belgien, Jakarta, La Paz, Pakistan, Nigeria, Bolivien, Serbien und St. Gallen, um nur ein paar wenige zu nennen. Aus über 50 Ländern gibt es schrille, kontroverse und provokative Musikvideos zu sehen oder Klangbeiträge zu hören, wobei der Fokus auf Erzeugnisse gelegt wurde, welche sich ausserhab des Kommerz bewegen, auf politische oder soziale Missständen aufmerksam machen und kulturelle Klischees hinterfragen oder ironisch auf die Schippe nehmen. In drei Boxen werden Videos zu sechs unterschiedlichen Themenschwerpunkten gezeigt: Money, Loneliness, Desire, Exotica, War und Belonging. Diese Kategorien hätten sich bei den zahlreichen Einsendungen auf der Norient-Plattform herauskristallisiert, erklärt Burkhalter, womit klar wird, dass Einsamkeit, Zugehörigkeit, Krieg, Geld, Sehnsucht und der Reiz des Exotischen universelle Faktoren zu sein scheinen, welche Menschen auf der ganzen Welt beschäftigen. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen erfolgt dabei auf äusserst vielfältige und kreative Art und Weise, wie dieses Video-Bijou aus dem Themenblock Money verdeutlicht.

Nebst den äusserst gemütlichen Kinoboxen (so muss es sich in einem UFO-Cockpit anfühlen) können über zahlreiche schlanke Hörrohre Podcasts oder Soundcollagen angehört werden, welche Einblick geben in den Arbeitsalltag von MusikerInnen rund um den Globus: serbischer Hip Hop, indonesischer Hardcore, israelischer Noise, Neue Musik aus Deutschland, alles da. Auf relativ kleinem Raum hat das Norient-Team somit die ganze Welt versammelt, wobei trotz eindrücklichen Satellitenschüsseln und LED-Installation mit Videofragmenten (Urs Hofer) in keinem Moment klangliche Überdosis entsteht, Orchestrierung und ausgeklügeltem Sound-Design (hands on sound) sei Dank.

Man mag von YouTube, Facebook, Soundcloud, Instagram und Co halten was man will. Fakt ist, dass diese Kanäle helfen, neue künstlerische Formen und Formate zu entwickeln und zu verbreiten, die durchaus seismographischen Charakter aufweisen. Seismographic Sounds ist eine Ausstellung, der es gelingt auf unterhaltsame Weise die Vielfältigkeit und Vielstimmigkeit dieser neuen Formen abzubilden und damit auch klar macht, dass digitale Globalisierung keinesfalls zu künstlerischem Einheitsbrei führen muss.

Seismographic Sounds im Forum Schloss Platz in Aarau, 15. August – 20 .September 2015. Im Anschluss wird die Ausstellung an zehn weiteren Orten in Europa und in der Schweiz zu sehen sein. Bringen Sie für den Ausstellungsbesuch Zeit und Hörmusse mit. Es lohnt sich.

Zur Ausstellung ist bei Norient Books auch eine 504-seitige Publikation namens «Seismographic Sounds – Visions of a New World» erschienen.